Wicke

 


In Walter Benjamins 1924 erschienenem Aufsatz Die Aufgabe des Übersetzers wird eine Unterscheidung getroffen zwischen der Übersetzung, die nicht zu verwandeln vermag, und der Übersetzung, die verwandelt. Verwandelnde Übersetzungen machen in der Welt der Sprache und des Geistes etwas möglich, das Benjamin Ergänzung nennt. Durch wandlungsfähige Übersetzungen, verändernde Übersetzungen, treten Ergänzungen in die Welt der Sprache ein. Die Sprachen beginnen sich gegenseitig zu ergänzen. Wandlungsfähiges Übersetzen ist nur möglich, wenn die Art und Weise des Meinens übersetzt wird. Wo nicht die Art des Meinens übersetzt wird, wo das Gemeinte übersetzt wird, kann die Ergänzung nicht eintreten. "Wenn in der Übersetzung die Verwandtschaft der Sprachen sich bekundet, so geschieht es anders als durch die vage Ähnlichkeit von Nachbildung und Original. Wie es denn überhaupt einleuchtet, daß Ähnlichkeit nicht notwendig bei Verwandtschaft sich einfinden muß. [. . .] Worin kann die Verwandtschaft zweier Sprachen, abgesehen von einer historischen, gesucht werden? In der Ähnlichkeit von Dichtungen jedenfalls ebensowenig wie in derjenigen ihrer Worte. Vielmehr beruht alle überhistorische Verwandtschaft der Sprachen darin, daß in ihrer jeder als ganzer jeweils eines und zwar dasselbe gemeint ist, das dennoch keiner einzelnen von ihnen, sondern nur der Allheit ihrer einander ergänzenden Intentionen erreichbar ist: die reine Sprache."

Weit entfernt sich von der reinen Sprache eine Übersetzung, welche verwandelt ohne zu verwandeln und verändern. Wer das französische pain übersetzt in Brot, ist ein solcher Verwandler ohne Verwandlung. Eine solche Übersetzung sagt dasselbe, sie gibt damit die Möglichkeit des Ergänzens auf. Paradox verwandelt und trennt die andere Art des Übersetzens, sie schafft Differenz und Ungleichheit – und diese beiden, die Differenz und die Ungleichheit, besitzen das Vermögen, zu ergänzen. Pain läßt sich nicht durch Brot ergänzen. Gäbe es nur pain–Brot Übersetzungen, gäbe es alleine Goethes gleiche Ansicht der Dinge, so gäbe es, was Benjamin als Ausschluß bezeichnet.